- Urnenfelderzeit in Süddeutschland
- Urnenfelderzeit in SüddeutschlandEs hat mitunter den Anschein, dass große technische Umwälzungen nur langsam in der Gesellschaft Fuß fassen und in das kulturelle Gesamtgefüge aufgenommen werden. So dürfte es auch mit der Einführung von Kampfwagen in der Bronzezeit Europas gewesen sein. Fahren und Reiten waren die bevorzugten Fortbewegungsarten der bronzezeitlichen Herren. Das Reiten kam allerdings erst gegen Ende der jüngeren Bronzezeit in Europa auf, gefahren wurde schon früher. Dabei ist nicht das schwerfällige Sichfortbewegen auf von Rindern gezogenen Holzwagen mit vier Scheibenrädern gemeint, das bis in die Jungsteinzeit - in die Zeit der Megalithkulturen - zurückgeht, und auch weiterhin im Alltag seine Rolle spielte, sondern das Fahren auf pferdebespannten Kampfwagen mit zwei leicht laufenden Speichenrädern. So zeigt die Grabstele des Gräberrunds A von Mykene den Burgherren als Jäger mit Lanze und Kurzschwert auf einem leichten zweirädrigen Wagen (16. Jahrhundert v. Chr.). Die tief in der spätbronzezeitlichen Welt verankerten Epen Homers erzählen von den griechischen Helden, die mit dem Streitwagen in die Schlacht zogen, um dann freilich abzusteigen und zu Fuß den Kampf mit ihren trojanischen Gegnern aufzunehmen. Schon hieran ist eine Bedeutung des zweirädrigen Wagens als Rangzeichen abzulesen, die weit über den Waffencharakter des Streitwagens hinausgeht. Mykene wirkte um 1600 v. Chr. als Vermittler zwischen der vorderorientalischen »Streitwagenbewegung« der Hurriter, Hethiter, Kassiten sowie der Hyksos und dem »barbarischen« Europa, in dem sie auslief. Da die vorgeschichtlichen Wagen zumeist aus Holz gebaut wurden, sind sie oder Teile von ihnen nur ausnahmsweise erhalten, aber Wagenmodelle aus Ton, Ritzzeichnungen auf Gefäßen, Darstellungen auf Felsbildern, Tonmodelle von Speichenrädern und der berühmte Sonnenwagen von Trundholm belegen die Existenz größerer, von Pferden gezogener Wagen mit Speichenrädern in der mittleren Bronzezeit Europas. Ein zweirädriger Renn- oder Streitwagen findet sich auf einem Wandstein aus der Grabanlage von Kivik der Periode III des Nordischen Kreises, im südschwedischen Landesteil Schonen gelegen; das Felsbild von Frännarp in Schonen zeigt sogar eine ganze Schwadron von zweirädrigen Wagen und Speichenrädern.Zu Beginn der Urnenfelderzeit Zentraleuropas im 13. und 12. Jahrhundert v. Chr. wurde der vierrädrige Wagen entwickelt, der über Jahrhunderte hinweg vorherrschend blieb, sei es als Transport-, Leichen-, Zeremonial- oder Kultgefährt. Erst bei den Kelten kam der zweirädrige Kampfwagen wieder auf. Unsere Kenntnisse über die Wagen der Urnenfelderzeit sind von den regional unterschiedlichen Überlieferungs- und Erhaltungsbedingungen abhängig. Für die Forschung ist es ein Glücksfall, dass sich zu Beginn der Urnenfelderzeit im bayerischen Voralpenland, in Südwestdeutschland sowie der Schweiz eine Bestattungssitte herausgebildet hat, bei der Wagen eine große Rolle spielten und Reste von ihnen in Gräber gelangten. 1955 wurde in Mengen (Kreis Sigmaringen) eine Grabkammer entdeckt, die Funde eines anderen, 1905 entdeckten Mengener Brandgrabes neu beleuchteten, sodass man den Wagengräbern auf die Spur kam. 1956 wurden die Erkenntnisse durch die reiche Brandbestattung von Hart an der Alz (Gemeinde Garching an der Alz, Kreis Altötting) bestätigt, wo unter anderem Funde zahlreicher bronzener Teile eines vierrädrigen Wagens gemacht wurden. Bis heute sind rund ein Dutzend solcher Gräber bekannt, darunter ein weiteres in Baden-Württemberg, das Wagengrab von Königsbronn (Kreis Heidenheim), in der Westschweiz die beiden von Kaisten (Kanton Bern) und Saint Sulpice am Genfer See (Waadt) und in Oberbayern das Wagengrab von Poing (Kreis Ebersberg). Die Gräber, stets Männer bergend und ausnahmslos Brandbestattungen in zum Teil mächtigen Grabkammern oder -kisten, sind mit Waffen, Bronzegeschirr sowie auch vielen Tongefäßen ausgestattet, die serviceartig zusammengestellt sind. Das Wagengrab von Poing kam erst im Jahr 1989 zutage. Der Leichenbrand des Toten lag in einem Grab mit Nord-Süd-Orientierung, über dem vielleicht ein Totenhaus errichtet war. Teilweise waren die bronzenen Beigaben, so die Bruchstücke eines Schwertes, vom Scheiterhaufenfeuer verschmolzen. Zur mitgegebenen Bewaffnung gehörten auch Pfeil und Bogen. An Geräten enthielt das Grab zwei Sicheln und ein Rasiermesser. Von der Tracht sind zwei Bronzenadeln erhalten. Gusskuchen und Barren sowie ein Halbfabrikat eines Ringes lassen vermuten, dass der Mann im Bereich der Metallverarbeitung tätig war. Eine metallene Siebtasse gehörte zu einem Bronzeservice, das allerdings in Hart an der Alz mit gut erhaltenem Bronzeeimer, Tasse und Sieb vollständiger vorliegt. Vom verbrannten hölzernen Wagen von Poing liegt eine Vielzahl bronzener Bestandteile vor, deren urspüngliche Anordnung und Funktion noch immer nicht geklärt ist. Die Achskappen haben einen unterschiedlich großen Durchmesser. Der vierrädrige Wagen wurde von zwei Pferden gezogen, denn unter den Beigaben fanden sich auch zwei Trensen vom Zaumzeug. Den Wagenkasten und andere Teile zierten bronzene Schmuckteile und Aufsätze, worunter besonders der plastische Vogelschmuck auffällt. Das gilt auch für den Königsbronner Wagen, dessen Deichsel in einer Tülle mit Vögelchen mündete. Bei dem Wagen von Poing laufen die Achsstifte in gegenständige Vogelköpfe aus und scheinen eine Vogelbarke zu bilden. Vogelaufsätze und Anhänger in Lanzettform schlagen die Brücke zu anderen Symbolträgern, auch zu den kleineren Kesselwagen aus Bronze. Das Gespann wurde offenbar nicht mit bestattet - so wie im Frühmittelalter das Reitpferd -, denn in keinem der Wagengräber fanden sich Pferdeknochen. Stattdessen wurde als Ersatz für das lebende Tier das Zaumzeug beigegeben, Pferde waren damals ein äußerst kostbarer Besitz und nur wenigen Personen vorbehalten. Der Tote wurde auf dem rechteckigen Wagenkasten aufgebahrt und - dem altgriechischen Brauch der Ausfahrt (»ekphora«) vergleichbar - zum Verbrennungsplatz gefahren. Vermutlich setzte sich den Glaubensvorstellungen dieser Zeit zufolge von dort aus die Wagenfahrt des Verstorbenen ins Totenreich fort. Bevor sie zuletzt dem Leichentransport dienten, wurden die kostbaren Wagen wahrscheinlich bei kultischen Umzügen verwendet. Vielleicht waren es Repräsentationsfahrzeuge ihrer Besitzer, denen als »Priester-Häuptlingen« über ihre weltliche Funktion als Krieger und Häuptlinge hinaus sakrale Aufgaben zufielen.In anderen Regionen Europas wurden ebenfalls bronzene Reste von Wagen aus der Urnenfelderzeit geborgen, allerdings stammen sie wohl nicht aus Gräbern, sondern sind Depotfunde. Unter ihnen sind besonders kompliziert gegossene bronzene Räder zu erwähnen, wie die einen Durchmesser von circa 58 cm aufweisenden Räder vom Typ Stade/Hassloch (erste Fundorte in Niedersachsen beziehungsweise Rheinland-Pfalz), die im 9./8. Jahrhundert v. Chr. vom Pyrenäenvorland bis zur Niederelbe zu finden sind. Ein fast komplett erhaltener Wagen dieser Art, auf dem ein großer Bronzeeimer gestanden hat, ist aus La Côte-Saint-André in den französischen Alpen im Département Isère bekannt. In diesem Fall könnte man an kultische Umfahrten denken, bei denen auch Trankopfer dargebracht worden sind.Prof. Dr. Albrecht JockenhövelArchäologische Bronzen, antike Kunst, moderne Technik, herausgegeben von Hermann Born. Berlin 1985. Ausstellungskatalog, Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin.
Universal-Lexikon. 2012.